Reden kann helfen - Zuhören auch

Normalerweise arbeite ich gerne lösungsfokussiert. Zu Beginn eines neuen Prozesses frage ich oft: „Angenommen, dieser Prozess verläuft für Sie erfolgreich, woran merken Sie das, was ist dann anders?“

Ich liebe diese Fragen, und auch die Idee, dass die Lösung eines Problems oft unabhängig von dessen Ursache gefunden werden kann, ist mir sehr einleuchtend.

Seit drei Monaten habe ich einen ganz anderen Auftrag:

In mehreren Standorten der Vivantes Kliniken Berlin stehe ich den Mitarbeiterinnen der Stationen mit Covid-Bezug (Intensivstation, Rettungsstelle, Verdachtsstationen) für Gespräche zur Verfügung.

Einmal in der Woche sitze ich in einem Raum im Krankenhaus und warte, wer kommt. Man kann vorangemeldet kommen, aber auch einfach spontan reinschauen. Ich habe inzwischen über 40 Gespräche geführt, mit Krankenschwestern, Ärzten, Physiotherapeuten und Pflegehelferinnen.

Am Anfang geht es fast immer um die Belastung, die die derzeitige Situation mit sich bringt. Das ewige An- und Ausziehen von Schutzkleidung, was so viel Zeit kostet. Dass man in die Krankenzimmer verkleidet wie ein Marsmännchen geht und von den Patienten überhaupt nicht als Mensch aus Fleisch und Blut wahrgenommen werden kann. Die eigene Angst vor Ansteckung, die unzureichende Versorgung mit Corona-Tests, die vielen Toten, die dann - aus Infektionsschutzgründen - in Plastiksäcke verpackt werden müssen. Manche sagen, das ist doch unmenschlich, was hier von uns verlangt wird, unter welchen Bedingungen wir hier arbeiten müssen. Oft höre ich eine große Verzweiflung und auch Angst.

All das belastet die Menschen sehr.

Dann wieder höre ich sehr berührende Geschichten, wie würdevoll, selbst im größten Stress, der Umgang mit den Toten auf den Stationen ist. Manche streichen den Verstorbenen kurz über die Wange, sprechen ein ganz kurzes Gebet, öffnen das Fenster – mich berührt das sehr und es beruhigt mich auch. Dass in dieser unmenschlichen Situation, die besonders in den Krankenhäusern sich zeigt, Platz für so viel Menschlichkeit ist.

Und nach einer Weile passiert es manches Mal, dass die Menschen mir ganz persönliche Dinge erzählen. Wie sie den Tod in ihrem eigenen Leben schon erlebt haben. Was alles die Situation zu Hause so schwer macht. Was ihnen in dieser Zeit besonders fehlt. Oder es kommen Themen zur Sprache, die die Zusammenarbeit – oder das Fehlen davon – im Team betreffen.

Dazu braucht es natürlich auch erst einmal den Mut oder manchmal auch die Kraft, sich einem fremden Menschen gegenüber zu öffnen, das ist nicht so einfach – und es wird durch die Maskenpflicht noch erschwert.

Ich biete kaum Lösungsvorschläge an, ich frage überhaupt nicht lösungsfokussiert, sondern ich höre einfach zu. Und es ist auch für mich sehr überraschend, die heilende Kraft zu spüren, die im einfachen Zuhören liegt. Zuhören, ohne zu bewerten, Zuhören mit einem offenen Herzen und der Bereitschaft sich auch berühren zu lassen. Zuhören einfach weil jemand etwas loswerden möchte.

Und so gelingen immer wieder menschliche Begegnungen im wahrsten Sinne des Wortes. Ich verstehe etwas von dem, was die anderen bewegt, ich schwinge mit, ich nehme einfach auf.

In dieser Corona-Zeit erfahre ich, wie gut Reden und gehört zu werden tun kann – und wir können  uns das alle gegenseitig schenken – immer wieder.